Eigentlich wollte ich meine Masterarbeit über Stevia ribaudiana schreiben. Ein natürlicher Süßstoff, der ungefähr die 300-fache Süßkraft von Zucker besitzt, dafür aber genauso kalorienarm wie seine synthetischen Geschwister. Außerdem besitzt das süße Kraut keine kariogene Wirkung und hat praktisch keinen Einfluss auf die Bauchspeicheldrüse. Alles wunderbare Eigenschaften, die uns doch fragen lassen sollten, warum man in Deutschland Stevia noch nicht offiziell zugelassen hat. Bisher ist das Kraut nur unter dem Deckmantel eines Badezusatzes in der Kosmetikabteilung von Bio-Supermärkten zu finden gewesen.
Meilenstein
Jetzt bin ich doch tatsächlich auf einen Bio-Joghurt der Molkerei Andechser gestoßen, der lediglich mit Stevia gesüßt war. Nach einem ersten Test der Sorte Sanddorn-Orange lautet mein Urteil: Lecker! Nicht zu süß, wie man es generell von einem Bio-Joghurt erwartet hätte. Auch der Preis lag im gewöhnlichen Rahmen.
Nachdem Andechser zwei verschiedene Sorten im Angebot hatte, sind sie nach kurzer Zeit schon wieder vom Markt genommen worden. Wo kann ich denn dann überhaupt mit Stevia gesüßte Lebensmittel kaufen?
Jenseits von Europa
Bis dato hatte ich die Information, dass Steviaerzeugnisse in der EU nicht als Lebensmittel oder Lebensmittelzusatzstoff zugelassen sind. Die Begründung: Es fehlen überzeugende wissenschaftliche Nachweise, dass der Verzehr gesundheitlich unbedenklich ist. Das ist zwar auch bei Zucker und vielen anderen Naturprodukten der Fall, doch die waren bereits auf dem Markt, bevor die Gesetze einen derartigen Nachweis forderten (Stichwort: Novel-Food-Verordnung).
In Südamerika, Japan, China und anderen Ländern wird Stevia schon lange verwendet. Bislang sind aus diesen Regionen keine gesundheitlichen Probleme bekannt geworden. Bereits 2008 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Stevia-Extrakte als sicher eingestuft, wenn bestimmte Verzehrsmengen nicht überschritten werden.
Daraufhin hat die Schweiz Einzelzulassungen für Stevia-Produkte erteilt. Ein Jahr später ließ auch Frankreich ein 97 Prozent reines Glykosid als Lebensmittelzusatzstoff mit einer Beschränkung auf zwei Jahre zu. Im April 2010 schloss sich die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) der Einschätzung der WHO an. Dennoch ist Stevia als Süßstoff in Deutschland und fast der gesamten EU bisher nicht zugelassen.
Europäische Studien
Nach Studienerkenntnissen aus 2010 der EFSA wurde bewiesen, dass Stevia weder genotoxisch noch krebserregend ist.
Im Januar 2011 hat die EFSA ein neues Gutachten über die vermutete tägliche Verzehrsmenge von Steviolglykoside durch die Verbraucher bei bestimmten Lebensmittelgruppen vorgelegt. Basis der neueren Berechnungen waren beantragte Einsatzmengen für Steviolglykoside in Lebensmitteln.
Durch das Gutachten der EFSA hat die EU-Kommission nun die Grundlage für die Ausarbeitung eines Entwurfes für die Zulassung von Steviolglykosiden in der EU. Gemäß Verlautbarungen des zuständigen Kommissars im EU-Parlament soll ein Verordnungsentwurf bis zum 28. Juni 2011 erstellt werden. Danach wird dieser Entwurf im Europäischen Rat besprochen und gegebenenfalls auch beschlossen. Es könnte dann bis zum Ende des Jahres 2011 oder Anfang 2012 zu einer Zulassung von Stevia in der EU kommen. Solange aber ein Entwurf für eine Zulassung nicht vorliegt und der Europäische Rat keine Stellungnahme dazu abgegeben hat, bleibt alles noch Spekulation.
Ausblick
Es liegt an mutigen Firmen wie Andechser, bereits jetzt Investitionen zu tätigen, um sobald wie möglich fertige Produkte auf den Markt zu bringen. Dabei riskieren sie auf ihren Kosten sitzen zu bleiben, denn die bürokratische Maschinerie kann jeden Fortschritt schnell wieder zunichte machen.
Einen anderen Gegenwind gibt es wahrscheinlich auch seitens der Hersteller synthetischer Süßstoffe. Man sollte bedenken, dass Stevia als reines Naturprodukt nicht patentiert und somit auch nicht monopolisiert werden kann. Deren Hersteller werden insofern jede Karte ausspielen wollen um die Einführung von Stevia zu verzögern.